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Was versteht man unter Stimmhygiene?

Wenn ein Mann oder eine Frau einen Stimmberuf ergreifen wollen – beispielsweise Lehrerin, Journalistin, Soldat, Berater, Pastorin, Erzieher oder gar Schauspieler, Rundfunksprecher (heute zusehends unprofessionell) oder gar Sänger oder Sängerin, so sollte ein stimmliches Verhalten vorliegen, das man allgemein mit „Stimmhygiene“ bezeichnet.

Bekannt sollte sein, dass Rauchen, Trinkgewohnheiten (Alkohol, Kaffee, Tees) auf die Stimme in schädlichem Maße einwirken können. Wenn saure, gewürzte oder gegerbte Speisen Völlegefühl, Sodbrennen, Magen- oder Halsschmerzen auslösen, die per se schon eine Stimmstörung bewirken können, so sollten Sänger oder Sprecher ihre jeweiligen Präferenzen herausfinden und sich an die ihnen bekömmlichen Gerichte halten. Möglicherweise bedarf es einer Abklärung der Speiseröhre und des Magens durch einen Arzt. Alkohol- und koffeinfreie Getränke gewährleisten die Durchfeuchtung der Schleimhäute und damit auch die Geschmeidigkeit des unmittelbaren Stimmapparates. Ein gesunder Mensch sollte täglich viel trinken!

Alles „Gemachte“ an der Stimme wird nicht nur von den Mitmenschen unbewusst registriert, sondern auch von der eigenen Stimme und von der Seele. Die Folge sind Überforderung und Überanstrengung des eigentlich gut ausgewogenen Zusammenspiels von innerer Einstellung, Körper, Stimme und Gesprächspartner, denn nicht nur die Professionellen wirken künstlich und unecht hierbei. Die Sprecher wie die Sänger müssten wissen oder fühlen, in welcher Lage, in welcher Höhe ihre Stimme „zuhause“ ist, mit welchem optimalen Druck gesprochen und geatmet werden soll. Die Atmung sollte beim Erwachsenen im Brust- und Bauchbereich angesiedelt sein, und die Stimme darf in keinem Fall überfordert werden. So habe man zu wissen, wann eine Überforderung eintreten kann: Eine zu anspruchsvolle Gesangspartie oder „Gesangsparty“ kann eine Stimmermüdung oder Heiserkeit, ein Kratzen, Kitzeln, Brennen, Mundtrockenheit, Halstrockenheit, Schmerzen, vermehrten oder verminderten Speichelfluss, Ermüdungsgefühl, Enge- oder Kloßgefühl mit sich führen. Weiche Stimmeinsätze, ausreichend Schlaf und eine gute innere Balance, dadurch Vermeiden von Schreien (ein Ausdruck von Hilflosigkeit!), kein Räuspern – all dies wirkt den oben genannten Störungen entgegen.

Auch Störschall, der nicht nur die auditive Kontrolle über die eigene Stimme durcheinanderbringt, sondern sich auch beklemmend auf das Wohlbefinden und damit die Stimmgebung mit all ihren komplizierten Einstimmungsmechanismen auswirkt, wäre im Zuge der Ausübung oder Praktizierung einer professionellen Stimmhygiene zu meiden.

Bei all diesen Dingen ist eine freie Nase erforderlich – die unnatürliche Atmung durch den Mund bewirkt keine adäquate Lufterwärmung und -befeuchtung oder gar -reinigung wie die Nasenatmung. Kalte und trockene wie staubige Luft behindert die ausgewogene Stimme in extremem Maße.

Ebenso wirkt sich der hormonelle Stand des Sprechers oder des Sängers auf die Stimme aus: Es gibt hormonelle Erkrankungen, die plötzlich den Gesang nicht mehr zulassen. Bereits geringste Mengen Testosteron – ein männliches Hormon – oder auch Ovulationshemmer können die Stimme einer Sängerin negativ beeinflussen. Anabolika, die bei Männern und bei Frauen im Body-Building zum Muskelaufbau herangezogen werden, können den Stimmen beider Geschlechter den „Glanz“ nehmen oder die Stimme der Frau in die Männer-Stimmlage absinken lassen. Doch auch der Zyklus der Frau wirkt sich auf die Stimme aus, vor allem auf die Singstimme. Eine Sängerin sollte wissen, wann sie große Partien meiden sollte, denn in bestimmten Zeiten, beispielsweise vor der Menstruation kann es zu einer Schwellung der Stimmlippen kommen. Einen schädigenden Effekt üben blutverdünnende Medikamente aus wie zum Beispiel Aspirin: Es kommt zu Einblutungen in die Stimmlippe unter zu großer stimmlicher Anstrengung, und die Stimme kann auf immer geschädigt bleiben.

Jeder sollte außerdem wissen, dass Stimme suggestiv ist: Man denke an den Nachrichtensprecher, der einen „Frosch im Hals“ hat, und man selber ist derjenige, der sich räuspern muss. Genauso sieht es bei den Sprechern vor ihren Zuhörern aus: Über das Ohr kopieren zum Beispiel die Schüler in ihrer Anspannung die falsche Stimmgebung des Lehrers, das heißt, sie verkrampfen sich in den gleichen muskulären Partien wie ihr „Vorbild“ und ertragen diese Spannung nicht sehr lange: Der Lehrer wundert sich, dass er die Kinder nach einer gewissen Zeitspanne nicht mehr zurückhalten kann, und diese wehren sich, indem sie unruhig werden und dem Unterricht nicht mehr folgen.

Weitere Kriterien für eine gute Stimmhygiene sind optimale Schallabstrahlungsbedingungen: Hierzu zählt eine wohl geformte Mundhöhle, in der der Ton, den die Stimme ja produziert, in einen Laut transformiert wird, wobei Höhe des Gaumens, Zahnstellung, Mandelgröße, Zungenform und deren richtiges Bewegungsmuster, eine freie Nase wie gut belüftete Nasennebenhöhlen bei infektfreiem Atemtrakt eine Rolle spielen. Von Bedeutung ist außerdem eine nach vorn verlagerte Sprechweise, ein optimales Kiefer- und Lippenspiel und eine großzügige Weite des Rachens.

Eine richtige Haltung mit festem Bodenkontakt wie lockerer Bauchdecke ( ohne Hackenschuh, ohne Gürtel) bedingt eine „bodenständige Stimme, die aus dem hohlen Bauch kommt“. Verspannungen, Verkrampfungen, Haltungsschäden – ob durch Skoliose, Morbus Scheuermann oder durch Depression – sind einer guten Stimmgebung nicht zuträglich. Wenn die Stimmung nicht stimmt, so bestimmt diese auch die Einstellung, damit die Haltung und den Tonus und damit wiederum die Stimme. Wir wissen alle, wie sich depressiv Menschen anhören, wie der „panisch Optimistische“, wie „der mit sich selbst Unbarmherzige“ oder wie „der übertrieben Vergnügte“.

Sportler müssen sich zur Ausübung ihrer Darbietungen aufwärmen – und ebenso geht es Sängern oder professionellen Sprechern. Die Mozart- und Liedinterpretin Arleen Auger äußerte sich in dem Wochenblatt „Die Zeit“ mit den Worten: „Die meisten wollen nur aufstehen und singen, und das ist nie genug“. Zur professionellen Stimmgebung gehört nämlich neben dem vorangegangenen, harten Studium ebenfalls ein Aufwärmen, ein Einüben von Programmen, die den gesamten Stimmapparat, das heißt den Menschen, vor der Stimmbelastung einstimmen sollen: Die Stimme beginnt bei den Füßen und endet am Scheitel, und die Verbindung muss stimmen. Dazu gehört unbedingte Elastizität und Kraft oder Entspannung in der Becken- wie in der Rücken- oder der Kehlkopfmuskulatur, im Zwerchfell wie in den Schultern oder im Gesicht. Das Zusammenspiel muss gewährleistet sein, und dazu bedarf es Dehn- und Streckübungen, Legato- wie Staccatotraining, Lockerungen und Spannungsregulationen.

Zu berücksichtigen ist das jeweilige Alter – so dürfen zum Beispiel Kinder nicht in zu hoher oder zu tiefer Lage gefordert werden wie Erwachsene ja auch nicht, Kinder in der Pubertät bedürfen einer Berücksichtigung ihrer entsprechenden stimmlichen Rahmenbedingungen und eine alternde Stimme bedarf taktvoller Führung, wobei die Anforderungen an den Stimmapparat auch geringer gehalten werden müssen wie die an den alternden Sportler.

(N. Graf von Waldersee, M. Hess)