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Warum ist die Früherkennung, Frühdiagnostik und Frühbehandlung einer angeborenen Schwerhörigkeit für mein Kind so wichtig?

Angeborene, also bereits mit der Geburt bestehende Schwerhörigkeiten werden heute in Deutschland immer noch zu spät, d.h. erst im Alter von etwa 2 1/2 Jahren, entdeckt. In dieser Zeit, von der Geburt bis zum 3. Lebensjahr, lernt das Gehirn besonders intensiv, die Hörinformationen beider Ohren zu verfeinern, zu verschärfen und sinnvoll zu interpretieren. Diese intensive „Hör-Lernphase“ nennt man auch „sensible Phase“.

Nach dieser Zeit verlangsamt sich das Hör-Lernen deutlich (endet aber nicht). Deshalb, um die sensible Phase möglichst gut auszunutzen, möchte man angeborene Schwerhörigkeiten rasch, nachdem sie entstanden sind, erkennen und behandeln. Die Behandlung von Mittelohrschwerhörigkeiten besteht z.B. in einer medikamentösen Behandlung oder in einem ohrchirurgischen Engriff. Die Behandlung einer Innenohrschwerhörigkeit besteht meist in der Anpassung von Hörgeräten.

Wenn man die sensible Phase ungenutzt verstreichen läßt, verpaßt das Kind wichtige Entwicklungmöglichkeiten, die es nur noch teilweise und mühsam aufholen kann. Um dies aufzuholen, ist eine besonders intensive „Förderung“, z.B. als Hörtraining (meist durch Logopäden oder Pädagogen), notwendig. Damit Ihr Kind die notwendigen Entwicklungsschritte der Hör- und Sprachentwicklung zeitgerecht und phasengerecht durchlaufen kann, ist also eine Früherkennung (besser Soforterkennung!) notwendig.

Deshalb wurde in vielen Ländern (z.B. USA, Belgien, Österreich) ein sog. „universelles Hörscreening“ aufgebaut. Dies ist eine audiometrische Vorsorgeuntersuchung, die bei allen neugeborenen Kindern innerhalb einer gewissen Zeit, z.B. innerhalb einem Monat nach der Geburt, durchgeführt werden soll. In Deutschland wird dieses Vorsorgesystem gerade in Zusammenarbeit mit dem Bundesgesundheitsamt, Hals-Nasen-Ohrenärzten, Kinderärzten, Gynäkologen und Geburtshelfern aufgebaut.

Beachten Sie bitte: Das Vorsorgesystem „universelles Hörscreening“ konzentiert sich derzeit auf Methoden, die nur die häufigsten Arten der Schwerhörigkeit aufdecken kann (z.B. otoakustische Emissionen). Dies sind: 1. Mittelohrschwerhörigkeiten und 2. Schwerhörigkeiten durch Störung der äußeren Haarzellen im Innenohr. Die inneren Haarzellen, der Hörnerv und die Hörbahnen im Gehirn werden nur bei einem sog. zweistufigen Screening berücksichtigt, bei dem im Bedarfsfalle auch Hirnströme gemessen werden. In Deutschland soll deshalb, im Gegensatz zu dem vorgehen in anderen Ländern, ein zweistufiges Screening eingeführt werden. Dennoch: wenn Sie als Eltern unsicher sind, ob Ihr Kind trotz eines guten Screening-Ergebnisses gut hört, sollten Sie eine weitere, noch genauere Untersuchung veranlassen (z.B. beim Phoniater und Pädaudiologen).

Außerdem geben die Vorsorgeuntersuchungen mehr Kinder als schwerhörig an, als es tatsächlich sind. Wenn also Ihr Kind bei dieser Vorsorgeuntersuchung kein gutes Ergebnis hat, bedeutet dies noch nicht sofort, daß es wirklich schwerhörig ist! Dies sollte ein Phoniater und Pädaudiologie dann möglichst rasch nach dem Test genau untersuchen!

Bitte achten Sie darauf, ob man Ihnen mitteilt, daß ein Ohr oder beide Ohren ein gutes Screening-Ergebnis erzielt haben. Oft wird der befund eines nur einseitig normalen Ergebnisses in der Bedeutung für das Hören und Hörenlernen unterbewertet. Beachten Sie bitte, daß Ihr Kind für das Hören im Störgeräusch und für das Richtungsgehör zwei Ohren benötigt, besonders in der Schule. Außerdem: Viele (aber nicht alle) einseitigem Schwerhörigkeiten können entgegen bisheriger Ansicht doch mit einem Hörgerät auf der betroffenen Seite versorgt werden. Deshalb muß man auch einer fraglichen einseitigen Schwerhörigkeit diagnostisch nachgehen.

Durch ein zukünftiges universelles Hörscreening ist davon auszugehen, daß sehr viel mehr schwerhörige Kinder frühzeitiger als bisher entdeckt und entsprechend behandelt werden. Damit ist zu erwarten, daß bei viel mehr Kindern als bisher die Hör- und Sprachentwicklung so gut wie irgendwie möglich verlaufen kann. Deshalb ist das universelle Hörscreening der größte gesundheitspolitische Fortschritt, der in den letzten Jahren erreicht werden konnte!

(R. Schönweiler)