Wissensartikel
Mein Partner kann infolge einer Aphasie nicht mehr sprechen. Wie kann man uns helfen?
Aphasie bedeutet einen Sprachverlust nach erfolgreichem Spracherwerb in der Kindheit. Es sind also überwiegend Jugendliche und Erwachsene betroffen. Es kommen aber auch Aphasien bei Kindern während eines bis dahin normalen Spracherwerbs vor, z.B. bei bestimmten Epilepsien (z.B. Landau-Kleffner-Syndrom).
Aphasien entstehen bei einer Schädigung sprachverarbeitender und sprachsteuernder Areale im Gehirn. Häufigste Ursache bei Erwachsenen ist ein Schlaganfall, entweder mit einer Durchblutungsstörung („verstopftes Blutgefäß“) oder mit einer Einblutung in das Hirngewebe („geplatztes Blutgefäß“). Seltenere Ursachen sind z.B. Unfälle bzw. Schädel-Hirn-Traumata, Hirnkrämpfe bzw. Epilepsie, gutartige oder bösartige Hirntumoren. Auch nach Operationen im Gehirn können Aphasien entstehen; darauf wird vor solchen Operationen hingewiesen. Da die Sprachfunktionen in der sog. dominanten Hirnhälfte lokalisiert sind, treten Aphasien bei rechtshändigen Menschen und bei der Hälfte der linkshändigen Menschen bei Schädigung der linken Hirnhälfte auf.
Oft sind neben der Aphasie weitere Störungen festzustellen, wie z.B. verschiedene Lähmungen. Diese Störungen können genauso belastend sein wie Sprech- und Sprachstörungen und bedürfen natürlich ebenso einer Behandlung. Konzentrieren wir uns aber im Folgenden auf die Sprachstörungen.
Bei Aphasien sind meist mehrere sprachliche Leistungen gleichzeitig gestört, z.B.: Zuhören können, Sprache verstehen, Sprechantrieb (d.h. „sprechen wollen“), Wortfindung, Sinnhaftigkeit des Gesprochenen, Satzbau, Grammatik, Deutlichkeit der Aussprache, Flüssigkeit des Sprechens, Fähigkeit zu Lesen und zu Schreiben. Schlimmstenfalls kann das Gesprochene nur noch aus einzelnen Silben oder Worten bestehen. Es können „falsche“ Worte, „neu erfundene“ Worte verwendet werden. Das Sprechen kann soweit gestört sein, daß man sich nicht unterhalten kann. Manchen erscheinen die Patienten „dumm“ geworden zu sein, was aber nicht zutrifft!
Sprach- und Sprechstörungen können durch die Betroffenen so schlimm erlebt werden, daß sie seelisch und psychisch darauf reagieren und z.B. sehr traurig, verzweifelt, mutlos, resigniert, aber auch aggressiv werden. Besonders belastend für die Betroffenen ist es, wenn sie die eigenen Defizite selbst wahrnehmen (also wissen, was sie falsch machen), aber die Fehler nicht vermeiden können, weil z.B. das Gehirn „falsche Befehle“ an die Sprechorgane sendet.
Bei einigen Patienten treten zusätzlich zur Aphasie weitere spezielle Sprechstörungen auf, die Experten „Sprechapraxie“, „Dysathrie“ oder „Dysarthrophonie“ nennen. Schluckstörungen (z.B. Verschlucken oder zu langsames Schlucken) nennen Experten „Dysphagie“. Heiserkeiten heißen „Dysphonie“. Welche Störungen vorliegen, wird durch ein mehrstufiges und interdisziplinäres Untersuchungsprogramm diagnostiziert:
Eine Spiegelunterschung, meist mit Endoskopie, zeigt, welche Muskeln im Mund, Rachen und Kehlkopf gelähmt sind. Damit gibt die Untersuchung Hinweise für eine zu planende Übungstherapie.
Ein Audiogramm kann aufzeigen, ob zusätzlich eine Schwerhörigkeit vorliegt, die z.B. den erneuten Spracherwerb behindern könnte. Das ist leider bei etwa 20-30 % der älteren Patienten mit Aphasie durch Schlaganfall so: Sie brauchen vor Beginn einer Sprachtherapie Hörgeräte.
Ein Sehtest beim Augenarzt zeigt, ob die betroffenen Patienten scharf sehen können und ob ein Gesichtsfeldausfall vorliegt. Gerade das ist bei Aphasien, wenn sie durch Schlaganfälle verursacht worden sind, leider häufig der Fall (ca. 15 %). Gesichtsfeldausfälle müssen Phoniater und Pädaudiologen sowie Logopäden genau bekannt sein, wenn sie Übungen mit Bildmaterial oder Schrift planen und durchführen.
Eine neurologische und/oder psychiatrische und/oder psychologische Untersuchung prüft, welche zusätzlichen Lähmungen und Sensibilitätsausfälle vorliegen, ob Hirnkrämpfe zu befürchten sind und wie es um die Lernfähigkeit und Konzentrationsfähigkeit bestellt ist.
Eine radiologische Untersuchung klärt, wo genau im Gehirn die Sprech- und Sprachstörung loklisiert ist und ggf. welche Blutgefäße erkrankt sind. So können manchmal durch eine rechtzeitige Behandlung der Ursache der Aphasie weitere drohende Hirninfarkte verhindert werden. Außerdem kann festgestellt werden, wo der Schluckakt gestört ist und wie man die Übungstherapie gestalten muß, damit sich das bessert.
Eine Sprech- und Sprachuntersuchung prüft die kommunikativen Defizite im Detail. Eine solche Untersuchung ist besonders belastend, da sie die Defizite besonders offensichtlich zutage treten läßt! Darauf sollten Patienten vor Beginn der Untersuchung hingewiesen werden. Auf der Grundlage dieser Sprech- und Sprachuntersuchungen wird ein Übungsprogramm zusammengestellt, das Schritt für Schritt die kommunikativen Defizite bessern soll.
Die Fähigkeit des Gehirns, sich zu regenerieren, ist in dern ersten Wochen besonders gut. Deshalb sollten erste Übungen möglichst rasch nach Beginn der Aphasie begonnen werden, d.h., sobald es der Zustand des Patrienten zuläßt. Eine Sprech- und Sprachtherapie ist immer eine aktive Therapie, d.h. es ist Mitarbeit und Motivation erforderlich. Als Angehörige werden Sie möglicherweise in die Therapie mit einbezogen: Sie werden über die Störungen aufgeklärt und es wird Ihnen gezeigt, wie Sie mit der Störung umgehen und wie Sie dem Betroffenen beim Sprechen helfen können. Alles dies muß individuell auf die Störung abgestimmt werden.
Die Übungen schließen nicht nur das Sprachverstehen und das Sprechen ein, sondern auch Lesen und Schreiben. Dabei bessern sich die meisten Aphasien deutlich, besonders innerhalb des ersten Jahres nach Beginn der Erkrankung. Die Besserung äußert sich entweder darin, daß der Schweregrad aller Störungen gleichermaßen zurückgeht, oder die Symptome gehen unterschiedlich stark zurück, sodaß sich das Erscheinungsbild bzw. der „Charakter“ der Sprachstörung verändert (sog. Syndromwandel). Nach einem Jahr sind meist nur noch geringfügige Besserungen zu erreichen, wobei es aber durchaus viele positive Ausnahmen gibt.
(R. Schönweiler)